Wer im Sturm halten kann

Seesturm (Foto: Ruedi Bertschi)
"In einem Flugzeug, das durch ein Luftloch fällt, gibt es keine Atheisten!" hat mal ein humorvoller Beobachter festgestellt. Und kaum ein Mensch entgeht allen Stürmen des Lebens. Kein Zufall berichten uns die Evangelien auch von solchen. - Daraus ist eine Predigt entstanden.
Ruedi Bertschi,
Predigt zu Markus 4:35-41
Wer in Stürmen halten kann


Liebe Gemeinde, liebe Gäste

Im Gang durch das Markusevangelium kommen wir heute zu einer sehr sehr bekannten Geschichte. Sie wurde von Markus folgendermassen festgehalten: «Und an jenem Tage sagte er zu ihnen, als es Abend geworden war: Lasset uns ans jenseitige Ufer fahren! Und sie verliessen das Volk und nahmen ihn, wie er war, im Schiffe mit; und andre Schiffe waren bei ihm. Und es erhob sich ein grosser Windsturm, und die Wellen schlugen ins Schiff, sodass das Schiff sich schon füllte. Und er schlief im Hinterteil des Schiffes auf dem Kissen. Und sie wecken ihn und sagen zu ihm: Meister, kümmert es dich nicht, dass wir untergehen? Und nachdem er erwacht war, bedrohte er den Wind und sprach zum See: Schweig, verstumme! Da legte sich der Wind, und es trat eine grosse Windstille ein. Und er sprach zu ihnen: Warum seid ihr so furchtsam? Habt ihr noch keinen Glauben? Und sie gerieten in grosse Furcht und sagten zueinander: Wer ist doch dieser, dass ihm sogar der Wind und der See gehorsam sind?»

Ich möchte diesen doch sehr eigenartigen Bericht mal so angehen, wie eine gute Köchin ihren Festtagsbraten: Heiss anbraten, aber immer gut wenden! Darum also werde ich diese Geschichte von drei Seiten anbraten und sie somit während der Predigt zwei Mal gut drehen: Zuerst werde ich mit Euch den geographischen Vordergrund der Geschichte etwas anschauen, mich dann dem geistlichen Hintergrund zuwenden und schliesslich den heilsamen Urgrund knusprig-einladend brutzeln lassen. - Binden wir also den Küchenschurz um, drehen den Schalter am Herd voll auf und fangen wir an!

1. Der geographische Vordergrund
Das können wir ganz kurz machen. Ähnlich dem Vierwaldstättersee liegt der See Genezareth neben einer steilen Gebirgsflanke. Der See Genzezareth liegt auf 210m unter dem Meeresspiegel. Die Golanhöhen am Ostufer ziehen sich hoch auf eine Höhe von ca. 800m ü. M. So ist da eine Höhendifferenz von um die 1000m. Das ergibt ein schönes Potential für mächtige Föhnstürme. So ist es ziemlich normal, dass auf dem See Genezareth plötzlich ganz massive Fallwinde auftreten. – Unter den Jüngern von Jesus hatte es See-Genezareth-Fischer. Diese Männer waren mit den Unabwägbarkeiten des Sees vertraut. Sie wussten in etwa, wann es kritisch werden könnte. - Warum aber sind sie trotzdem rausgefahren? – Waren sie in dem Moment, wo Jesus, der Sohn Gottes, sie bat, ans andere Ufer zu fahren, seemännisch schlicht und einfach nicht bei der Sache? Zur Rettung der Fischerehre ist wichtig zu wissen, es gab noch kein Wetter-App auf dem Handy. Ja auch auf Handys musste man noch 2000 Jahre warten und… rund um den See gab es auch keine orange Warnblinkanlage, wie wir sie rund um den Bodensee haben. Auch da galt es noch mindesten 1950 Jahre zu warten… - Lasst uns nun den Braten ein erstes Mal drehen, den Braten wenden indem wir den geographischen Vordergrund verlassen uns dem möglichen geistlichen Hintergrund zuwenden.

2. Der geistliche Hintergrund
Auf den geistlichen Hintergrund dieser Geschichte hat mich im Frühjahr 1993 ein Gottesmann aufmerksam gemacht, der viele Jahre in Indonesien als evangelischer Pfarrer und Missionar unterwegs war. Er war dort in den 70-er-Jahren Zeuge, wie sich reihenweise ganze Dörfer weg vom Animismus hin zum christlichen Glauben gewendet hatten, so wie damals als Gallus und Kolumban unsere Gegend durchstreiften. Es war darum auch die Zeit, wo sich in indonesischen Dörfern mächtige, traditionelle Schamanen vom Christentum in die Ecke gedrängt fühlten. Der Indonesienmissionar erzählte uns, wie er mal in einem kleinen Propellerflugzeug unterwegs war in ein Dorf, das vom Glauben an Jesus unbedingt mehr wissen wollte. Dabei geriet ihre Propellermaschine in ein Gewitter hinein, wie er das noch nie erlebt hatte. Für einen Moment mussten auch sie mit dem Schlimmsten rechnen. – Als dann aber in diesem Dorf auch der mächtige Schamane gläubig wurde, bekannte dieser, dass er alles in seiner Macht getan hatte, um die Ankunft der Botschafter vom Evangelium zu hindern…

Warum erzähl ich Euch das? Nun, der Mann aus Indonesien hat uns Missionare im Fortbildungskurs darauf aufmerksam gemacht, dass alle drei Evangelien, die uns diese Sturmgeschichte erzählen, genauso berichten, wie Jesus gleich anschliessend einen Mann befreite, der von vielen Dämonen besessen war. Kaum war Jesus aus dem Seesturmschiffchen gestiegen, da rannte der Besessene schon auf ihn zu schrie: „Was habe ich mit Dir zu schaffen, Jesus Du Sohn Gottes, des Höchsten? Ich beschwöre Dich bei Gott, peinige mich nicht!“ Es scheint also, dass es da einen Zusammenhang gab. Es scheint, als wenn dieser Besessene den Jesus bereits erwartet hätte. Es scheint, dass dieser Seesturm neben dem rein natürlich geographischen Vordergrund auch noch einen geistlichen Hintergrund hat.
Ich bin mit solchen Deutungen inzwischen immer vorsichtiger, zumal wir in Bremgarten zur Mahnung für alle Überspirituellen einen mächtigen Hexenturm haben. Doch ich glaube weiterhin, dass es solche Zusammenhänge geben kann. Wir leben in einer sichtbaren und in einer unsichtbaren Welt. Und in beiden Welten wird um die Vorherrschaft gerungen, bis Jesus wiederkommt und endgültig die Herrschaft Gottes aufrichtet. - Nun gibt es unter uns und in unserer Gegend Menschen, die kaum mit der Realität der unsichtbaren Welt rechnen. Und es gibt ebenso Menschen unter uns und in unserer Gegend, die scheren sich kaum um die Gesetzmässigkeiten der sichtbaren Welt. Und so wie es also Menschen gibt, die nur die geographisch-sichtbare Seite der Dinge braten und entsprechend dann manchmal auch etwas anbrennen, gibt es eben auch diejenigen, die alles nur geistlich verstehen möchten und darum manchmal diese Seite etwas verbraten und verbrutzeln. Die beiden Welten gut zu unterscheiden und auch vernünftig zu gewichten, das ist die Aufgabe eines jeden Christen und einer jeden Kirchengemeinschaft. Das erleben wir auch gelegentlich in den Diskussionen und Erwägungen in unserer Kirchenpflege. Wichtig ist, dass wir uns in unserer unterschiedlichen Wahrnehmung ernst nehmen, achten und beide Typen von Menschen bereit sind, den Braten immer wieder mal zu kehren und zu wenden. - Jeder von uns hat seine starken Seiten. Jeder von uns hat auch seine blinden Flecken. Und wenn mal Rauch in unserer Lebensküche aufsteigt, ist das ja auch noch nicht immer das Zeichen eines allgemeinen Weltuntergangs, sondern nur ein Zeichen, dass es vielleicht doch Zeit ist, um Bewegung in die Gusseisenpfanne zu bringen. – Höchste Zeit jetzt auch, um unseren Braten, noch ein zweites Mal zu wenden und uns noch einer dritten Seite zuzuwenden. Ich nenne sie mal:

3. Der heilsame Urgrund
Sehen sie, diese gestandenen Männer, die sich da in diesem Sturm befanden und nicht wussten, ob sie das jetzt überleben werden oder nicht, sie haben sich in ihrer Not, dem zugewendet, der drauf und dran war, die ganze Katastrophe zu verschlafen. - Sie haben darum zu ihm geschrien! – “Meister, kümmert es dich nicht, dass wir untergehen?“ – Ihnen war für in diesem Moment wohl völlig Wurst, ob der Grund der Not rein geographischer oder rein geistlicher oder gar eine Mischung daraus sei! Sie wollten einfach nicht ertrinken. Das mit dem Ertrinken in einem See, das geht so schrecklich schnell. Ich war auf dem Bodensee Zeuge von einem solchen Unfall. Es war einfach nur schlimm und die Leiche hat man bis heute nicht gefunden….

Doch nun dürfen sie in dieser Lage, die unglaubliche Erfahrung machen, dass Jesus Kraft und Vollmacht hat, in diese Welt und in die Geschichte einzugreifen. Wörtlich: „Und nachdem er erwacht war, bedrohte er den Wind und sprach zum See: Schweig, verstumme! - - Da legte sich der Wind, und es trat eine grosse Windstille ein.“ - Dieser Jesus! Er faselt da nicht irgendetwas von Dämonen und andere unsichtbare Mächte. Er bedroht weder den Teufel noch seine Helfershelfer. Er droht überhaupt nicht sondern gebietet in den einfachsten Worten: «Schweig, verstumme!» Und dann wird alles still, einfach nur still. Und die Durchnässten und Gestressten werden vom Gottesschrecken gepackt und fragen: Wer ist doch dieser, dass ihm sogar der Wind und der See gehorsam sind?

Liebe Gemeinde, liebe Gäste, uns wünsche ich eine gesunde Sensibilität für Vordergrund- und Hintergrund-Wissen. In allem aber wünsche ich uns die Gewissheit von einem heilsamen Urgrund. Ja, die Gewissheit, dass es beim Dreieinigen Gott, je und je wieder gut werden darf. Dass bei IHM keine Not zu gross ist, in der sichtbaren und in der unsichtbaren Welt. Die Stürme, die bleiben den wenigsten von uns erspart. Die Erfahrung, dass Jesus daneben liegt und schläft haben auch schon Viele machen müssen. - Dass er aber dennoch lebt und sich wecken lässt, von dem können seit der Stillung des Sturms auf dem See Genezareth viele Menschen immer wieder neu berichten. AMEN.






Bremgarten, den 27. Mai 2025



Ruedi Bertschi
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