Zum Muttertag gehört oft ein Blumenstrauss. Das ist ein schöner Brauch. Der Strauss kann aber auf der Seite der Empfängerin ganz unterschiedliche Gefühle wecken... Dazu hat sich Pfr. Ruedi Bertschi ein paar Gedanken gemacht, indem er über ein uraltes Bibelwort nachdachte.
Liebe Leserin, lieber Leser
Ein ganz knorriges Wort aus einem fast unbekannten Buch der Bibel hat mich auf den Weg gebracht, über den Muttertagstrauss etwas nachzudenken. Ich habe darüber am Muttertag gepredigt. Das Wort lautet so:
„Gib acht auf deine Füsse, wenn du zum Hause Gottes gehst.
Und tritt hinzu, um zu hören,
und nicht um ein Schlachtopfer zu stiften wie die Toren.
Sie verstehen nicht, dass sie Schlechtes tun.“
Das ist nun eine ganz steile Vorlage: Hören statt spenden!! – Das steht im Kontrast, ja eigentlich im Widerspruch zu dem ebenfalls biblischen Wort: Seid aber Täter des Wortes und nicht nur Hörer! - Wie ist das jetzt? Ist Gott nun für oder gegen die Schlachtopfer, von denen es heisst, dass er sie im 3. Buche Mose selbst angeordnet habe? Hat einfach Salomo, der Autor des Predigerbuches, etwas falsch verstanden? Oder hat er den Willen Gottes zurechtgebogen, oder ist es nochmals anders?
Vielleicht löst sich die Frage ein bisschen, wenn wir uns vor Augen führen, was gestern Nachmittag, gestern Abend oder heute Morgen in vielen Haushalten abgelaufen ist. Muttertag! Der Mann drückt seiner Frau zum Muttertag einen schönen Blumenstrauss in die Hände, vielleicht noch verbunden mit ein paar mehr oder weniger von Dankbarkeit erfüllten Worten. Was hat das bei der beschenkten Frau und Mutter ausgelöst. Nun, wir ahnen es! Es kommt drauf an! - Die einen Frauen haben sich riesig gefreut, haben sogar ein Freudentränchen abgewischt und den Mann spontan in die Arme genommen… Andere Frauen aber konnten sich bei der tupf gleichen Geste überhaupt nicht richtig freuen. Das ganze Jahr unfreundlich und jetzt diese Blumen. Das ganze Jahr betrügt er mich, trägt die Blumen anders wohin und jetzt dieser Heuchlerbesen? Wenn in seinem solchen Moment dann dennoch Tränen fliessen, dann sicher keine Freudentränen. „Gib acht auf deine Füsse, wenn du zum Hause Gottes gehst. Und tritt hinzu, um zu hören, und nicht um ein Schlachtopfer zu stiften wie die Toren. Sie verstehen nicht, dass sie Schlechtes tun.“ Spätestens jetzt beginnt es uns zu dämmern, wie das mit dem Schlachtopfer gemeint ist.
Zum tieferen Verstehen schauen wir auf den zeitlichen und örtlichen Zusammenhang von damals. Wer die Möglichkeit hatte und in einer vernünftigen Distanz zu Jerusalem wohnte, ging ein bis drei Mal im Jahr nach Jerusalem und opferte im Tempel, eine Taube, ein Schaf und wer sehr reich war ein Rind. Viele hatten weder die körperliche Kraft, noch die nötige Zeit, noch die finanziellen Mittel oder einfach auch nicht das nötige spirituelle Interesse so regelmässig nach Jerusalem zu pilgern. Sie gingen all paar Jahre hin, einmal im Leben oder auch gar nie. Und nun also dieses Wort: „Gib acht auf deine Füsse, wenn du zum Hause Gottes gehst. Und tritt hinzu, um zu hören, und nicht um ein Schlachtopfer zu stiften wie die Toren. Sie verstehen nicht, dass sie Schlechtes tun.“ Der Hörer oder Leser verstand das damals gut. Dieses für uns so krass herüberkommende entweder oder ist im orientalischen Denken kein so krasses entweder oder, sondern eine Sache der Prioritäten. Der Prophet Amos musste zweihundert Jahre danach zu den Leuten im Norden des Landes sagen:
So spricht Gott der HERR
Eure Speiseopfer, sie gefallen mir nicht
Und das Heilsopfer von Eurem Mastvieh – ich sehe nicht hin
Weg von mir mit dem Lärm deiner Lieder!
Und das Spiel deiner Harfen – ich höre es mir nicht an!
Möge das Recht heranrollen wie Wasser
Und die Gerechtigkeit wie ein Fluss, der nicht versiegt!
Die ihr den Gerechten bedrängt,
Bestechung annehmt
Und die Armen wegstosst im Gericht…
Sucht das Gute und nicht das Böse,
damit ihr am Leben bleibt.
Heute ist also Muttertag: Ich habe meiner Frau nicht einen Blumenstrauss geschenkt, weil schon ein frischer Strauss am Samstag auf dem Stubentisch stand, sondern ihre Lieblingsschokolade gekauft, dunkle Schokolade, schwarz wie die Nacht und nicht nur eine, sondern grad zwei Tafeln, nicht die Billigsten, sondern die von Cailler und Camille Bloch. Ich habe ihr eine schöne Karte geschrieben… Ich denke, das war gar nicht so übel von mir… Aber – und jetzt kommt nochmals das mit dem Blumenstrauss - wenn ich während 364 Tagen ein Teufel und Tyrann bin zu Hause, dann pfeift meine gute Claudia auf die wunderbare Schokolade – Cailler oder Camille Block hin oder her! Dann schüttelt sie verwundert den Kopf, wenn sie die schöne Karte liest. Ja, vielleicht ist sie sogar zornig, verdrückt eine Träne und denkt an das Wort in Prediger 4:17: „Gib acht auf deine Füsse, wenn du zum Hause Gottes gehst. Und tritt hinzu um zu hören, und nicht um ein Schlachtopfer zu stiften wie die Toren. Sie verstehen nicht, dass sie Schlechtes tun.“
Gell, wir lesen in grosser Regelmässigkeit, wie herausgeputzte Service Club’s wie Rotary, Lions und Kiwanis dieses und jenes mit einem Be-trag in der Höhe von x, y-Franken unterstützt haben. Man sieht dann meist noch ein Foto mit dem Präsidenten und dem Kassier des Clubs, mit dem glücklichen Empfänger und mit dem überdimensionierten Check. Das ist gut, sehr gut sogar. Aber wenn diese Männer vom Club nur einen kläglichen Bruchteil von ihren überzogenen Bonis spenden oder aus Überschüssen infolge von zu knappen Löhnen an ihre geringsten Mitarbeitenden was weitergeben… Wenn diese Männer wichtige Arbeit ausgelagert haben, bloss um Gewinne zu optimieren oder strenge Sicherheitsstandards zu umgehen…. Dann pfeift Gott auf all die Spenden, so edel sie auch daherkommen mögen und egal wie gross und fotogen der gebastelte Check ist. Dann regen sich ihre kleinen Mitarbeitenden auf, wenn sie das Foto ihres Chefs in der Zeitung sehen. Und umgekehrt natürlich freuen sie sich, zeigen das Foto dem Nachbarn, zwinkern mit den Augen und rühmen ihren Vorgesetzten… Und wieder hören wir Prediger 4:17: „Gib acht auf deine Füsse, wenn du zum Hause Gottes gehst. Und tritt hinzu um zu hören, und nicht um ein Schlachtopfer zu stiften wie die Toren. Sie verstehen nicht, dass sie Schlechtes tun.“
Heute haben wir die kleine Livia getauft. Das ist eine schöne Sache. Wir haben uns alle sonntäglich angezogen und sogar noch unser versilbertes Taufgeschirr aus dem Kirchenschrank geholt. - Wir brauchen solche Momente, solche Rituale, solche Zeiten in der Familie und in der Kirche mit anschliessendem Fotografieren, Essen, Trinken, Feiern. Wenn aber die Livia Vertrauen fassen sollte in unseren Gott, dann braucht es von unserer Seite die Treue und die Stetigkeit, die Hoffnung und das Vertrauen ins Leben und in IHN. Dann ist nicht Jammern und Endzeitstimmung angesagt, sondern Mut und Ernsthaftigkeit, sonst ist die Taufe wertlos und nichtig. Opfer sind gut und wichtig! Gewiss! Ohne Opfer kann kein Hilfswerk bestehen, kann kein Vereinsfest zum Erfolg werden, kann keine Kirche blühen – egal ob Landes- oder Freikirche. Aber die Prioritäten, die müssen klar sein, sonst heisst es dann: „Gib acht auf deine Füsse, wenn du zum Hause Gottes gehst. Und tritt hinzu um zu hören, und nicht um ein Schlachtopfer zu stiften wie die Toren. Sie ver-stehen nicht, dass sie Schlechtes tun.“
Zum Schluss nochmals zurück zum Anfang, zum König Salomo und seinem Tempel, den er als erster Herrscher von Israel um das Jahr 1000 vor Christus herum hatte bauen lassen. Als König erfuhr er viel, wusste er viel und kannte er auch seinen Versuchungen. Als König war er der geborene Service-Club-Man und Vorsitzender eine Wohltätigkeitsveranstaltung. Als König musste er keine Tauben oder Schafe als Schlachtopfer darbringen. Bei ihm waren eigentlich nur ausge-wachsene Stiere standesgemäss. Er wusste aber auch um seine Gefährdung, um die Heuchelei, um das «Tun als ob». Und darum schrieb er für sich zuerst, aber auch für alle, die in dieser Gefahr standen: „Gib acht auf deine Füsse, wenn du zum Hause Gottes gehst. Und tritt hinzu um zu hören, und nicht um ein Schlachtopfer zu stiften wie die Toren. Sie verstehen nicht, dass sie Schlechtes tun.“ AMEN.